Leben wir nicht schon längst in einer maschinell erzeugten Realität?
Das Virtual and Augmented Reality Revival unter dem Decknamen Metaverse sowie die Bild- und Textgeratoren aka Stable Diffusion und ChatGPT geben vielen Menschen das Gefühl, dass ihre Realität demnächst nicht mehr von einer künstlich, maschinell erzeugten zu unterscheiden sei. Tatsächlich hat der Prozess, dass wir in einer maschinell erzeugten Realität leben und diese auch täglich beispielsweise mit unseren Smart Phones erzeugen vor über 150 Jahren bereits eingesetzt.
Mechanische Objektivität ist das Stichwort dazu und die beiden Wissenschaftshistoriker Lorraine Daston und Peter Gallison haben vor einiger Zeit ein wunderbares Buch namens „Objektivität“ darüber veröffentlicht. In diesem Buch zeigen sie, wie vornehmlich die Erfindung der Fotografie vor über 150 Jahren das Phänomen der mechanischen Objektivität beschleunigt hat. Schon die Erfindung der Fotografie stand unter dem Verdacht Künstler arbeitslos zu machen.
In ihrem Buch zeigen Lorraine Daston und Peter Gallison wie sich jedoch die Wisssenschaft, ihre Praxis und ihre Darstellung durch die Erfindung dieser Bildgebenden Technologie massiv verändert hat. Während früher Künstler wissenschafltiche Abbildungen für Bücher schufen, wurden sie im Bereich der Wissenschaft durch Fotografien ersetzt. Dies bedeutete aber auch, dass sich die Art und Weise wie Bilder gelesen und interpretiert wurden fundamental geändert hat.
Die maschinell erzeugten Bilder waren keine Idealbilder eines Objektes mehr, dass von einem Subjekt – Künstler – gefertigt wurde. Diese Bilder wurden von einer Maschine – einem Fotoapparat – erstellt und galten aus diesem Grund als besonders „objektiv“, frei von jeglicher menschlicher, subjektiver Beeinflussung.
Seitdem hat diese Technologie Einzug erhalten in jeden unseres Lebensbreich und ist zu einer grundlegenden Technologie zur Erzeugung und Vermittlung von Wissen und Information geworden. Ohne Fotografie wüßten wir nicht, wie es auf dem Mond aussieht, wie die tiefen unserer Meere gestaltet sind oder wie sich kleinste Teilchen zueinander verhalten. Schon das fotografische Bild hat unsere Wahrnehmung und Erfahrung von Wirklichkeit technisiert.
Mit der digitalen Bilderzeugung ist die fotografische Technologie vollständig zum Paradigma von „Realität“ geworden. Ob Computergrafik oder Computervision, Augmented oder virtuell Reality all diese Technologien basieren auf ihrem Grundprinzip. Wir leben im Grunde schon längst in einer maschinell erzeugten Realität.
Foto: James Webb Teleskop Aufnahme des Sternentstehungsgebiets NGC 3324 im Carinanebel, veröffentlicht am 12. Juli 2022